Energiekrise 2021/22 - Herausforderungen für die Energiewirtschaft

Preissteigerungen auf den Großhandelsmärkten, drohende Versorgungsengpässe sowie weitere Pandemieeinschränkungen sind aktuell die Stichworte, die die deutsche Energiewirtschaft fest im Griff haben. Angesichts des Umstands, dass kaum ein Akteur auf den Energiemärkten von diesen Entwicklungen nicht betroffen ist, besteht allerorten Handlungsbedarf:
1. Lieferanten-/Händlerseite
a) Kundenkommunikation hinsichtlich Vertrags- und Preisanpassungen im Letztverbrauchersegment
Die aktuelle Preisentwicklung auf den Großhandelsmärkten macht Preiserhöhungen unumgänglich. Ihr Umfang übersteigt den aus den vergangenen Jahren bekannten Rahmen teilweise deutlich. Derartige Preissteigerungen veranlassen Kunden, Verbraucher ebenso wie unternehmerisch tätige Kunden, Preisanpassungen besonders kritisch zu prüfen. Der Kommunikation und der Umsetzung von Preisänderungen kommt daher besondere Bedeutung zu. Die EnWG-Novelle 2021 hat insofern zu teils erheblichen Änderungen geführt.
Vorbereitet sein müssen Lieferanten auch auf eine (wieder) zunehmende Zahl von auf § 315 Abs. 3 BGB gestützte Verbraucherbeschwerden und in der Folge auf mit einzelnen Verbrauchern und/oder Verbraucherverbänden geführte Verfahren um die Wirksamkeit entsprechender Preisanpassungen.
b) Lieferanteninsolvenz und -ausfall im Haushaltskundenbereich
Für Grund- und Ersatzversorger stellen sich in Zeiten von Lieferanteninsolvenzen und -ausfällen Fragen nach der Zulässigkeit gespaltener, d.h. nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses differenzierender (Grund- und Ersatzversorgungs-)Tarife, nach den Grenzen des Unzumutbarkeitseinwands im Rahmen der Grund- und Ersatzversorgung, aber auch solche nach Ersatzansprüchen gegenüber lieferunwilligen Versorgern. Diese Fragen wird der Grundversorger, oftmals im Rahmen von gerichtlichen Auseinandersetzungen, mit Verbrauchern, Verbraucherschutzverbänden, Wettbewerbern, lieferunwilligen Versorgern oder Regulierungsbehörden klären (lassen) müssen. Unternehmen, die sich für die Einführung separater Neukundentarife entschieden haben, müssen sich Fragen, die das Beschaffungsmanagement und die Preiskalkulation betreffen, stellen, also etwa solchen, die die Höhe der Neukundentarife und deren Entwicklung im weiteren Zeitverlauf berühren. Hier drohen kartellbehördliche Ermittlungen und Verfahren, aber auch zivilrechtliche Auseinandersetzungen.
c) Insolvenz von Grundversorgern
Muss ein Grundversorger selbst Insolvenz anmelden, wird insbesondere zu klären sein, ob zur Ermittlung des neuen Grundversorgers eine neue Feststellung entsprechend § 36 Abs. 2 Satz 2 EnWG zu erfolgen hat oder ob auf die Ergebnisse der letzten turnusmäßigen Feststellung zurückgegriffen werden kann.
d) Überprüfung des Forderungsmanagements
Aufgrund des deutlich gestiegenen (Kunden-)Insolvenzrisikos ist jeder Lieferant gehalten, sein Forderungsmanagement auf den Prüfstand zu stellen, Vorsorge gegen weitere (Kunden-)Insolvenzen zu treffen und Ausfallrisiken zu minimieren. Allerdings wird selbst das überlegteste Vorgehen nicht davor bewahren, dass nach der Insolvenz eines Kunden eine Insolvenzanfechtung durch den Insolvenzverwalter droht. Insofern kann es nur darum gehen, den anfechtbaren Zeitraum möglichst kurz zu halten, also dem Insolvenzverwalter wenig Angriffsfläche zu bieten. Dementsprechend muss vor allem geprüft werden, ob das Forderungsmanagement dem Bargeschäftsprivileg gem. § 142 InsO hinreichend Rechnung trägt. Nach unseren Erfahrungen werden Vorauszahlungen auch von den Insolvenzverwaltern mittlerweile als grundsätzlich rückforderungsfest eingestuft. Voraussetzung ist jedoch, dass eine vertragsrechtliche Grundlage vorhanden ist und keine Indizien für eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht vorliegen. Andere Mittel der Absicherung stellen striktere Bonitätsprüfungen vor Abschluss liefervertraglicher Beziehungen sowie Warenkreditversicherungen dar.
e) Herausforderungen auf Großhandelsebene
Sollte es bei sich weiter zuspitzender Lage in der Ukraine tatsächlich zu Einschränkungen russischer Gaslieferungen kommen, stellt sich für Importeure und Großhändler die Frage, welche rechtlichen Folgen diese Leistungsstörungen Upstream wie Downstream haben und wie ggf. das Beschaffungsportfolio angepasst werden kann. Auch staatliche Eingriffe zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit und zum Schutz vulnerabler Abnehmer (z.B. private Letztverbraucher und Kraftwerke) können ein realistisches Szenario werden.
2. Netzbetreiber
Netzbetreiber sind von den aktuellen Entwicklungen in erster Linie im Hinblick auf Lieferanteninsolvenzen und die Umsetzung von Liefersperren betroffen. Allerdings resultieren die Herausforderungen insofern eher aus der deutlich erhöhten Zahl von Fällen als aus Umsetzungsschwierigkeiten. Unabhängig hiervon müssen auch Netzbetreiber ihr Forderungsmanagement auf den Prüfstand stellen. Nicht nur im Fall von Lieferanteninsolvenzen drohen (erhebliche) Ausfälle von Netzentgeltzahlungen, auch die Insolvenz jedes anderen Netzkunden birgt ein Zahlungsausfallrisiko. Regulatorisch ist für Netzbetreiber besonders schmerzlich, dass bereits vereinnahmte Netzentgelte trotz Rückzahlung an einen Insolvenzverwalter als „erzielbare Erlöse“ iSd. § 5 I 1 ARegV zu berücksichtigen sind und damit nicht über das Regulierungskonto ausgeglichen werden können.
3. Kraftwerksbetreiber
Anders als Lieferanten und Netzbetreiber sind Kraftwerksbetreiber häufig nur insofern von den aktuellen Entwicklungen betroffen, als sich für viele die Erzeugungs-Spreads deutlich verbessert haben, vor allem für diejenigen, die von Brennstoffpreis- und/oder CO2-Preis-Entwicklungen nicht oder nur in geringem Maß betroffen sind (Betreiber von Anlagen auf Basis erneuerbarer Energien, von Kernkraftanlagen und von fossilen Erzeugungsanlagen mit geringem Commodity-Preisaufschlag). Das wiederum wirft die Frage nach alternativen Vermarktungsmöglichkeiten für den jeweiligen Brennstoff auf. Zudem kann es kurzfristig sinnvoll sein, vorläufige Stilllegungen rückgängig zu machen und/oder Revisionspläne zu ändern. Mittelfristig müssen Kraftwerksbetreiber ihre Brennstoffbeschaffung und Erzeugungsvermarktung auf stärker steigende Volatilitäten vorbereiten.
4. Energieintensive Unternehmen
Energieintensive Unternehmen kommen an einer – häufig externe energiewirtschaftliche Expertise einbeziehende – Revision ihres Beschaffungsportfolios und ihrer Einkaufsstrategie nicht vorbei. Als Stichworte seien die Diversifizierung von Bezugsquellen und die Bedarfsdeckung aufgrund von marktpreisunabhängigen Versorgungskonzepten genannt.
Großvolumige und langfristige Verträge enthalten regelmäßig verschiedene Möglichkeiten zur Änderung von vertraglichen Vereinbarungen. Während in Bezug auf Preisanpassungsklauseln Fragen der rechtlichen Zulässigkeit im Vordergrund stehen, sind es bei Preisrevisions- und allgemeinen Wirtschaftsklauseln Anwendungsfragen. Insofern geht es vornehmlich darum, ob sich eine wesentliche und nicht dem einseitigen Risikobereich des Anspruchstellers zugewiesene Änderung der dem Vertrag zugrunde liegenden technischen, wirtschaftlichen oder rechtlichen Voraussetzungen eingestellt hat. Das ist Tatfrage und hängt nicht nur von einer umfassenden Analyse der Marktverhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und zum Anpassungszeitpunkt ab, sondern auch von einer sorgfältigen Analyse der den konkreten Vertrag kennzeichnenden Risikostruktur.