Kartellrecht / Entsorgungswirtschaft: Bundeskartellamt stellt Remondis-Klausel scharf

Januar 2022
Konrad Riemer / Matthias Schleifenbaum
Kartellrecht / Entsorgungswirtschaft: Bundeskartellamt stellt Remondis-Klausel scharf

Am 19. Januar 2021 hat das Bundeskartellamt (BKartA) mitgeteilt, eine weitere Sektoruntersuchung im Entsorgungsbereich einzuleiten. Jüngst, nämlich kurz vor Weihnachten, hatte das Bundeskartellamt bereits eine detaillierte Sektoruntersuchung zur Erfassung von Haushaltsabfällen veröffentlicht und hierin abnehmenden Wettbewerb in den Ausschreibungsmärkten für die Erfassung von Leichtverpackungen, Glas und Haushaltsabfällen festgestellt. Mit der nunmehr eingeleiteten weiteren Sektoruntersuchung macht das BKartA von einer neuen Befugnis Gebrauch, die erst im Januar 2021 durch die 10. GWB-Novelle in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) eingefügt wurde. Die neu geschaffene Befugnis findet sich in § 39a GWB und ist in der Kartellrechtsszene unter dem vielsagenden Beinamen „Remondis-Klausel“ bekannt. Diese Remondis-Klausel aktiviert das BKartA nun. Was ist Anlass für die erneute Sektoruntersuchung und womit ist nun zu rechnen?

 
Was ist Anlass für die erneute Sektoruntersuchung?

Mit der nunmehr eingeleiteten neuerlichen Sektoruntersuchung will das BKartA die Voraussetzungen schaffen, um Rethmann/Remondis nach Abschluss der Sektoruntersuchung durch eine kartellbehördliche Verfügung aufzufordern, in Zukunft auch Übernahmen kleiner Unternehmen dem BKartA zur fusionskontrollrechtlichen Genehmigung vorzulegen.

Bislang müssen große Entsorgungsunternehmen nur solche Unternehmensübernahmen vom BKartA genehmigen lassen, bei denen das Zielunternehmen Umsätze von mehr als 17,5 Mio. EUR erzielt hat oder der Erwerber einen Kaufpreis von mehr als 400 Mio. EUR für das Zielunternehmen zahlt. Bleibt der Unternehmenserwerb unterhalb dieser Anmeldeschwellen, bedarf der Zusammenschluss keiner fusionskontrollrechtlichen Genehmigung des BKartA. Auch eine Prüfung des Unternehmenserwerbs durch die EU-Kommission aufgrund einer Verweisung nach Art. 22 FKVO scheidet im Fall regionaler und lokaler Märkte wie der Märkte zur Erfassung von Haushaltsabfällen in aller Regel aus. Damit können kleinere Entsorgungsunternehmen, die für die wettbewerbliche Struktur von erheblicher Bedeutung sein können, ohne eine kartellbehördliche Prüfung von größeren Wettbewerbern aufgekauft werden. Die Folge ist eine zunehmende Unternehmenskonzentration, die zu abnehmendem Wettbewerb in den Ausschreibungsmärkten führen könnte. Diesem Problem will der Gesetzgeber mit dem neuen § 39a GWB begegnen, der nicht nur, aber auch für Entsorgungsmärkte gilt: 
Auf Grundlage des § 39a GWB kann das BKartA bestimmte Unternehmen durch Verfügung verpflichten, jeden Zusammenschluss des Unternehmens mit anderen Unternehmen in einem oder mehreren bestimmten Wirtschaftszweigen anzumelden, unabhängig davon, ob die Anmeldeschwellen überschritten sind oder nicht.  Gesetzliche Voraussetzung für eine solche kartellbehördliche Aufforderung zur Anmeldung künftiger Zusammenschlüsse ist allerdings eine zuvor durchgeführte Sektoruntersuchung. Eben eine solche Sektoruntersuchung leitet das BKartA nun für den Entsorgungssektor ein. 


Was passiert nun? 

In seiner Pressemitteilung kündigt das BKartA an, die in der zurückliegenden Sektoruntersuchung sowie in früheren Fusionskontrollverfahren erhobenen Daten zu aktualisieren. Hierzu wird das BKartA wiederum Marktteilnehmer befragen. Dies geschieht typischerweise durch Fragebögen, in denen das BKartA Fragen zur Abgrenzung der relevanten Märkte, zur Marktkonzentration, zu Wettbewerbern und Wettbewerbskräften sowie zu Marktzutrittsschranken und potentiell wettbewerbsschädlichen Praktiken stellt. Den Antworten der Befragten kommt dabei eine erhebliche Bedeutung bei der Beurteilung der Marktverhältnisse zu. Nach Auswertung der Antworten und ggf. weiteren ökonomischen und rechtlichen Analysen der betroffenen Märkte wird das BKartA einen Abschlussbericht veröffentlichen und damit die Sektoruntersuchung beenden. 


Was folgt aus der Sektoruntersuchung? 

Ausweislich der Pressemitteilung ist Hauptzweck der Sektoruntersuchung die Vorbereitung einer Verfügung gegen Rethmann/Remondis. Daher ist zu erwarten, dass das BKartA „objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte“ dafür aufzeigen wird, dass durch künftige Zusammenschlüsse der wirksame Wettbewerb im Wirtschaftszweig Entsorgung erheblich behindert werden könnte. Eben diese „objektiv nachvollziehbaren Anhaltspunkte“ sind gesetzliche Voraussetzung für eine Verfügung gegen Rethmann/Remondis auf Grundlage des § 39a GWB. „Objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte“ für die Wettbewerbsschädlichkeit von Zusammenschlüssen können etwa ein hoher Konzentrationsgrad sowie hohe Marktzutrittsschranken sein. Hierzu wird sich das BKartA voraussichtlich im Abschlussbericht äußern, ebenso wie zur Wettbewerbsintensität und der Wechselquote der Auftraggeber in den zurückliegenden Ausschreibungen. 

Durch den Abschluss der Sektoruntersuchung als solcher wird Rethmann/Remondis noch nicht verpflichtet sein, künftige Zusammenschlüsse auch unterhalb der Schwellenwerte beim BKartA zur Freigabe anzumelden. Vielmehr muss das BKartA diese Verpflichtung durch eine gesonderte Verfügung nach Abschluss der Sektoruntersuchung gegenüber Rethmann/Remondis anordnen. Diese Anordnung kann allerdings unmittelbar im Anschluss an die Sektoruntersuchung erfolgen. 

Anders als gegen die Sektoruntersuchung, gegen die kein Rechtbehelf statthaft ist, unterliegt die kartellbehördliche Aufforderung zur Anmeldung künftiger Zusammenschlüsse der Beschwerde zum OLG Düsseldorf. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung, Rethmann/Remondis könnte im Fall einer Aufforderung allerdings einstweiligen Rechtsschutz beim OLG Düsseldorf ersuchen. Andere Marktteilnehmer könnten einen Antrag auf Beiladung sowohl zum kartellbehördlichen Verfahren als auch zum gerichtlichen Beschwerdeverfahren stellen, wenn ihre Interessen durch die Entscheidung des BKartAs erheblich berührt werden. Eine Interessenberührung kommt etwa für Wettbewerber von Rethmann/Remondis und für potentielle Übernahmekandidaten in Betracht, deren Übernahme bei einer Prüfung des Zusammenschlusses durch das BKartA voraussichtlich untersagt würde. Im Rahmen eines potentiellen Beschwerdeverfahrens werden das OLG Düsseldorf und im Anschluss ggf. auch der Bundesgerichtshof die Gelegenheit haben, offene Fragen zur Auslegung des § 39a GWB zu klären, etwa die Bedeutung und Reichweite des Begriffs „Wirtschaftszweig“ in Abgrenzung zum Begriff „Markt“. Diese Klärung darf mit Spannung erwartet werden – Rethmann/Remondis hat jedenfalls bereits angekündigt, gerichtlich gegen die Verfügung vorgehen zu wollen. Auch andere Marktteilnehmer könnten als Beigeladene ihren Beitrag zur Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen leisten.