E-Mobilität und Ladesäulen: Die Sektoruntersuchung des Bundeskartellamts zur Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge
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Wertschöpfungskette
Neben der Monopolkommission hat sich das Bundeskartellamt seit Juli 2020 in einer Sektoruntersuchung mit der Bereitstellung und Vermarktung öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge beschäftigt. Im Oktober 2024 hat es seinen Abschlussbericht vorgelegt. Es hat auf allen untersuchten Marktstufen potentielle Wettbewerbsdefizite identifiziert.
Das Bundeskartellamt grenzt u.a. Flächenmärkte, Infrastrukturmärkte und Ladestrommärkte ab.
Flächenmarkt
- Auf dem Flächenmarkt stehen die Gebietskörperschaften sowie private Flächeninhaber als Anbieter von Flächen den Entwicklern von Ladesäulen als Nachfrager geeigneter Flächen gegenüber.
- Ob private und öffentliche Flächen einem einheitlichen sachlich relevanten Markt zuzurechnen sind, lässt das Bundeskartellamt offen. Obwohl empirisch die meisten CPOs Ladesäulen sowohl auf privaten als auch auf öffentlichen Flächen errichtet haben, lasse dies keinen Schluss zu, dass die Flächen dem gleichen sachlichen Markt angehörten.
- Die Märkte für Flächen zur Errichtung öffentlich zugänglicher Normalladeinfrastruktur (bis zu einer Ladeleistung von 22 kW) grenzt das Bundeskartellamt lokal ab, Flächen entlang der Autobahnen streckenbezogen. Bei der räumlichen Marktabgrenzung orientiert sich das Bundeskartellamt am Nachfrageverhalten der E-Fahrzeugnutzer auf dem nachgelagerten Infrastrukturmarkt.
- Das Bundeskartellamt bewertet die Einräumung von Nutzungsrechten an öffentlichen Flächen durch Gebietskörperschaften als wirtschaftliche Tätigkeit, die in den Anwendungsbereich des Kartellrechts fällt.
- Häufig wird mangels ausreichend alternativer privater Flächen die Gebietskörperschaft über eine marktbeherrschende Stellung bei der Einräumung von Nutzungsrechten verfügen. Sie ist dann an die kartellrechtlichen Missbrauchsverbote gebunden und darf andere Unternehmen nicht behindern, diskriminieren oder ausbeuten. Darüber hinaus gilt das Kartellverbot für die vertragliche Flächenüberlassung (kritisch zu bewerten daher Ausschließlichkeitsvereinbarungen / räumliche Wettbewerbsverbote zugunsten eines Ladesäulenentwicklers) sowie für den Informationsaustausch im Rahmen der Flächenvergabe.
Infrastrukturmarkt (CPO-Markt)
- Der dem Flächenmarkt nachgelagerte Infrastrukturmarkt (CPO- / Ladesäulenmarkt) betrifft den Anschluss an und die physische Nutzungsmöglichkeit von Ladesäulen.
- Nach Auffassung des Bundeskartellamts stehen dem Ladesäulenbetreiber zwei Kundengruppen gegenüber:
- (1) E-Fahrzeugnutzer, die physischen Zugang zur Ladesäule begehren;
- (2) EMP, die Zugang zur Ladesäuleninfrastruktur begehren, um auf dem nachgelagerten Ladestrommarkt ihre Kunden an der konkreten Ladesäule mit Ladestrom versorgen zu können.
- Das Bundeskartellamt grenzt unterschiedliche sachliche Infrastrukturmärkte nach Ladegeschwindigkeit ab, wobei wiederum zwischen Normalladeinfrastruktur (bis zu einer Ladeleistung von 22 kW) und Schnellladeinfrastruktur differenziert wird.
- Vor dem Hintergrund der vertikalen Integration vieler CPO kann die Einräumung von Zugang zur Ladesäule gegen Abnahme teuren Ladestroms eine Preis-Kosten-Schere (margin squeeze) und damit einen Behinderungsmissbrauch i.S.d. § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB begründen, insbesondere dann, wenn der CPO vom zugangsberechtigten EMP höhere Preise für Ladestrom verlangt, als der CPO sie selbst von seinen Ladestromkunden verlangt (negative Preis-Kosten-Schere). Doch selbst wenn dem zugangsberechtigten EMP eine minimale Marge verbleiben sollte und nicht bereits eine negative Preis-Kosten-Schere vorliegt, kann die Marge zu niedrig sein, um die Kosten der Vertriebsleistung des EMP zu decken. Auch eine solche positive Preis-Kosten-Schere kann marktmachtmissbräuchlich sein.
- Über das missbrauchsrechtliche Diskriminierungsverbot ist allen nachfragenden EMP diskriminierungsfrei Zugang zur Ladesäule zu gewähren. „Das bedeutet nicht, dass allen Zugang zu identischen Bedingungen gewährt werden muss. Vielmehr bedürfen Unterschiede in den Konditionen einer sachlichen Rechtfertigung.“
Ladestrommärkte
- Auf den Ladestrommärkten stehen die Anbieter von Ladestrom untereinander im Wettbewerb. Dies sind zunächst der CPO mit seinem Ad hoc-Ladeangebot sowie darüber hinaus ggf. ein oder mehrere EMP, denen der CPO Zugang zur Ladesäule eingeräumt hat. Auch wenn zahlreiche EMPs Zugang zur betreffenden Ladesäule haben, wird sich das wettbewerbliche Angebot für den E-Fahrzeugnutzer in der Regel beschränkter darstellen und auf die Auswahl zwischen dem Ad hoc-Ladetarif und dem Tarif des oder der EMPs beschränken, deren Ladekarten er vorhält.
- Laut Bundeskartellamt betrafen Beschwerden im Rahmen der Sektoruntersuchung zu hohe Ladetarife, einschließlich Preiserhöhungen und der Abschaffung kostenloser Ladeangebote, sowie intransparente oder unübersichtliche Ladebedingungen. Das Bundeskartellamt beobachtet erhebliche Preisunterschiede auch bei vergleichbarer Ladeleistung, die mehr als 100 % zwischen den 10 % günstigsten und 10 % teuersten Ladeentgelten pro kWh betragen. Allerdings folge aus solch erheblichen Preisunterschieden nicht automatisch ein Verdacht auf einen Preishöhenmissbrauch. Vielmehr könnten sie auch auf Kostenunterschiede in der Bereitstellung und dem Betrieb der Ladeinfrastruktur zurückzuführen sein. Außerdem könnten erhebliche Preisunterschiede in einer frühen Marktphase gerade auch Zeichen für funktionierenden Wettbewerb sein, wenn sich noch kein wettbewerblicher Marktpreis herausgebildet hat und die Kosten der Infrastruktur wegen der geringen Auslastung noch nicht gedeckt werden können.
Die Sektoruntersuchung des Bundeskartellamts zeigt, dass die im Entstehen befindlichen Märkte rund um die E-Mobilität zahlreiche kartellrechtliche Fragen aufwerfen. Für Unternehmen und auch für Gebietskörperschaften und Stadtwerke gilt es dabei, sowohl kartellrechtliche Risiken zu erkennen und zu minimieren als auch kartellrechtliche Chancen klug zu nutzen.