Zuordnung vertragsloser Entnahmestellen in Mittelspannung - Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 17. September 2024
Die Urteile des Bundesgerichtshofs vom 17. September 2024 (Az. EnZR 57/23 und EnZR 58/23 – Lieferantenausfall bei Mittelspannungskunden) betreffen Konstellationen, in denen aufgrund eines systembedingten Fehlers des Stromlieferanten die Marktlokationen mehrerer Letztverbraucher nicht dem Bilanzkreis des Lieferanten zugeordnet werden konnten. Stattdessen wurden die Marktlokationen vom (Anschluss-)Verteilnetzbetreiber dem Bilanzkreis des in seinem Netzgebiet tätigen Grund- und Ersatzversorgers zugewiesen. Grundlage dieser Zuordnung waren Regelungen in Preisblättern der jeweils zugrunde liegenden Anschlussnutzungsverträge.
Die so erfolgte Zuordnung hält der Bundesgerichtshof – gemessen am Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG – für sachlich nicht gerechtfertigt: Eine analoge Anwendung von § 38 EnWG auf die Mittelspannung komme nicht in Betracht. Weder könne von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden noch sei die Interessenlage mit den Grundgedanken des § 38 Abs. 1 Satz 1 EnWG vergleichbar.
Ein sachlicher Grund folge auch nicht aus dem Hinweis in den Preisblättern der jeweiligen Anschlussnutzungsverträge, wonach „bei der Grundversorgung/Ersatzbelieferung“ die „Belieferung des Kunden […] durch den zuständigen Grundversorger sichergestellt werde“. Durch diese Mitteilung komme weder ein Vertrag zwischen dem Letztverbraucher und dem Grund- und Ersatzversorger zustande noch sei darin ein Angebot des Letztverbrauchers an den zuständigen Grund- und Ersatzversorger auf Abschluss eines Ersatzbelieferungsvertrages zu sehen, das vom Netzbetreiber mit der Meldung der Marktlokation an den Grund- und Ersatzversorger übermittelt werde.
Ebenso wenig könne das Interesse an kurzfristiger Vermeidung einer Zuordnungs- und Versorgungslücke die Zuweisung an den Grund- und Ersatzversorger rechtfertigen. Auch dieses Interesse befreie nicht von der Prüfung, wer im Einzelfall voraussichtlich am besten in der Lage sei, die Versorgung der vertragslosen Letztverbraucher kurzfristig sicherzustellen. Grundsätzlich sei das nämlich derjenige mit dem die letzte vertragliche Lieferbeziehung bestanden habe:
- Dieser Lieferant wisse aufgrund des bestehenden Lieferverhältnisses regelmäßig, wer sein Schuldner sei. Er könne daher zivilrechtliche Ansprüche wegen rechtmäßiger oder unrechtmäßiger Stromentnahmen leichter durchsetzen.
- Für seine bilanzielle Verantwortlichkeit spreche ferner, dass die letzte rechtliche Lieferbeziehung während eines vertragslosen Zustands durch weitere Stromentnahmen faktisch nahtlos fortgeführt werde.
- Für die "Fortsetzung" des Lieferverhältnisses mit dem bisherigen Vertragspartner sei zudem zu berücksichtigen, dass er bereits über die Kundendaten verfüge, diese also nicht unter Ausschluss anderer Mitbewerber einem dritten Elektrizitätsversorgungsunternehmen offengelegt werden müssten.
Was diese Urteile für die Praxis bedeuten und in welchem Zusammenhang sie mit der durch § 38a EnWG-E vorgesehenen Einführung des Instituts der sog. Übergangsversorgung stehen, analysieren wir in unserem jüngsten Briefing, das wir bei Interesse gern zur Verfügung stellen.