Eckpunktepapier der BNetzA zur Anpassung des Regulierungsrahmens
Keine 95, aber immerhin 15 Thesen hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) am 18.01.2024 mit einem Eckpunktepapier öffentlich angeschlagen. Die BNetzA eröffnet die Diskussion über eine Anpassung des Regulierungsrahmens für Strom- und Gasnetze. Bereits für den 2.2.2024 lädt die Behörde die Branche zum Gedankenaustausch ein.
Mit dieser Initiative nimmt die Behörde den Ball auf, der ihr vom EuGH zugespielt wurde. Nach dessen Entscheidung vom 2.9.2021, wonach die normative Vorstrukturierung des Regulierungsrahmens durch den nationalen Gesetz- und Verordnungsgebers unzulässig ist, ist es folgerichtig, dass die BNetzA nun prüft, das durch ARegV und Strom/GasNEV geprägte Regulierungssystem anzupassen. Der Gesetzgeber hat die Behörde mit der jüngsten EnWG-Novelle mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet (§§ 21 Abs. 3, 21c Abs. 3 EnWG), ihr aber gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, für einen Übergangszeitraum die aktuellen Verordnungen weiter anzuwenden. Es ist gut, dass sich die Behörde gleichwohl frühzeitig ihrer Aufgabe annimmt, in eigener Verantwortung den Regulierungsrahmen fortzuschreiben, denn dass es angesichts des Umbaus der Netze im Rahmen der Dekarbonisierung der Energieversorgung beim Regulierungssystem Anpassungsbedarf gibt, ist unstreitig.
Wohin zielen die ersten Überlegungen der BNetzA?
Zunächst stellt die Behörde fest, dass sich das Anreizregulierungsmodell grundsätzlich bewährt habe und sowohl gegenüber einer reinen cost-plus Regulierung als auch einer vollständigen Lösung von den individuellen Kosten (Yard-Stick-Regulierung) vorzugswürdig sei. Gleichwohl sieht die Behörde Anpassungsbedarf, den sie insbesondere mit geänderten Anforderungen an die Regulierung begründet. Sie verweist stromseitig auf den erheblichen Netzausbau und die Einbindung neuer Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen (EE-Anlagen, Wärmepumpen, Ladesäulen) sowie gasseitig auf den zu erwartenden Rückbau von Gasnetzen infolge eines Rückgangs des Gasverbrauchs und die Umnutzung einzelner Infrastrukturen für den Wasserstofftransport. Das Regulierungssystem soll daher flexibler werden, um dynamische Kostenentwicklungen abzubilden. Auch soll es transparenter und einfacher werden.
Erste Überlegungen dazu hat die Regulierungsbehörde in ihren 15 Thesen formuliert. Die interessantesten betreffen folgende Punkte:
- Die Regulierungsperiode soll von fünf auf drei Jahre verkürzt werden, damit Kostenaufwüchse oder -senkungen bei den OPEX – also auch jenseits der dauerhaft nicht beeinflussbaren Kosten (dnbK) und volatilen Kosten sowie des Kapitalkostenabgleichs –schneller Eingang in die Netzentgelte finden können.
- Der Katalog der dnbK soll danach überprüft werden, ob Relevanz der Kostenhöhe und (tatsächliche) Nichtbeeinflussbarkeit der einzelnen Positionen die Behandlung als dnbK rechtfertigen.
- Es gebe weiterhin einen Bedarf, die sektorale Produktivitätsentwicklung abzubilden, aber Anpassungen bei Ermittlung und Anwendung eines Produktivitätsfaktors seien zu erwägen.
- Den Effizienzvergleich hält die Behörde im Strombereich weiterhin für ein geeignetes Instrument, im Gasbereich sei es aber sorgfältig weiterzuentwickeln und mit Blick auf unterschiedliche Betriebsstadien („Abwicklungsbetrieb“ oder „Versorgungsbetrieb“) zu überprüfen.
- Die Qualitätsregulierung soll um andere Kriterien („Energiewendekompetenz“) erweitert werden.
- Für die Ermittlung der CAPEX von Gasnetzen soll kürzer und ggf. auch degressiv abgeschrieben werden können, um dem Rückbau von Infrastrukturen Rechnung zu tragen.
- Die Verzinsung soll auf einen WACC-Ansatz umgestellt werden, also die bisherige Trennung von FK- und EK-Verzinsung aufgegeben werden. Der (im WACC berücksichtigte) EK-Zinssatz soll ab der 5. Regulierungsperiode wieder einheitlich für Bestands- und Neuanlagen gelten und für die Dauer einer Regulierungsperiode konstant bleiben.
- Die Kosten für Stilllegungen und Rückbauten von Gasleitungen sollen frühzeitig von einer größeren Zahl an Netzkunden getragen werden, indem die Netzbetreiber Rückstellungen bilden, die als jährlich anpassbare Kostenposition Eingang in die Netzentgelte finden.
Steile Thesen oder weise Worte? – eine erste Bewertung
Mit ihrem Eckpunktepapier greift die BNetzA viele wichtige Themen auf. Ein Regulierungsrahmen, der den jeweils unterschiedlichen Herausforderungen, vor denen Strom- und Gasnetzbetreiber heute und in den kommenden Jahren stehen, Rechnung trägt, ist für das Gelingen der Energiewende essentiell. Richtig ist es daher, Strom- und Gasnetze nicht über einen Kamm zu scheren.
Die implizite Annahme des gegenwärtigen Modells, dass ein bis zu acht Jahre alter Befund zu Kosten und Effizienz in einem Fotojahr fünf Jahre lang der Maßstab für die effizienten Kosten des Netzes sein kann, hat sich in der Energiewende als unrealistisch erwiesen – zu dynamisch entwickeln sich Netze und die Aufgaben der Netzbetreiber. Die Verkürzung der Regulierungsperioden schafft insoweit Linderung, löst aber nicht das grundlegende Problem, dass ein Fotojahr der Vergangenheit keine gute Grundlage für die Bewertung dynamischer Entwicklungen ist.
Wenn die BNetzA zu Recht den Katalog der dnbK in § 11 Abs. 2 ARegV einer kritischen Inventur unterzieht, sollte die Analyse daher nicht allein darauf beschränkt werden, Kostenarten zu identifizieren, die künftig in den Effizienzvergleich einbezogen werden sollten. Die Vorstellung, dass einzelne Kostenarten allein exogen beeinflusst werden, während die Entwicklung anderer Kosten den Netzbetreibern vollständig als Effizienzgewinn oder -rückschritt zugerechnet werden kann, war schon immer eine starke Vereinfachung der Realität. Meist ist die Entwicklung von Kosten das Resultat jeweils unterschiedlich ausgeprägter exogener Einflüsse, deren Auswirkung auf die Netzkosten teils erheblich und in anderen Fällen nur geringfügig von den Reaktionen des Netzbetreibers abhängen. In einer Phase, in der der Handlungsrahmen von Netzbetreibern in erheblichem, aber auch sehr unterschiedlich ausgeprägtem Umfang von neuen staatlich veranlassten Aufgaben geprägt wird (z.B. Einbindung von subventionierter EE-Erzeugung, Ausstieg aus der Erdgasnutzung und Umstellung auf eine Wasserstoffwirtschaft), haben die exogene Faktoren an Bedeutung gewonnen. Es sollte daher auch diskutiert werden, wie die Abbildung wichtiger exogener Kostentreiber bei gleichzeitig fortbestehenden Effizienzanreizen gelingen kann – eine Aufgabe, der sich die Bundesnetzagentur beim Umgang mit volatilen Kostenanteilen bereits stellen musste.
Unabhängig von der Transformation der Netze ist das von der BNetzA formulierte Ziel, das Regulierungsmodell und die Verfahren zu vereinfachen richtig gewählt. Verkürzt man die Regulierungsperioden, führt an einer solchen Verschlankung kein Weg vorbei, wenn die Bescheidung den Regulierungsperioden nicht hinterherhinken soll. Diese Verschlankung sollte durchaus mutig angegangen werden: Die Erwartung, mit komplexen Modellen besonders belastbare Regulierungsergebnisse zu produzieren, wurde zu oft enttäuscht. Aller ökonometrischer Finesse zum Trotz bleiben Eigenkapitalzinssätze, Produktivitätsfaktoren, Effizienzwerte und Qualitätselemente Werte, für die nur relativ große realistische Bandbreiten ermittelt werden können. Wo punktgenaue Ergebnisse nicht erzielbar sind und Prognosen – wie die des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors – nicht mehr als die Summe von Glauben und Hoffnung sind, sollte das Ziel realistischer gesteckt werden: Es sollte darum gehen, Regulierungsergebnisse zu erzielen, die mit vertretbarem Aufwand für Behörden und Unternehmen hinreichend (rechts)sicher ausreichend nahe an ein wettbewerbsanaloges Entgelt heranführen und gleichzeitig jene Investitionsanreize setzen, die zum Gelingen der Energiewende nötig sind. Eine Beschränkung der Nachsteuerung der Erlösobergrenzen auf Evidenzfälle – deutliche und nachweisbare Unterschiede in der Produktivitäts- oder Einstandspreisentwicklung zwischen Netzwirtschaft und Gesamtwirtschaft; erhebliche, nicht bloß zufällige Unterschiede in der Netzzuverlässigkeit – wäre ein naheliegender erster Schritt in diese Richtung.