Toleranzbandüberschreitungen - Vertragsabwicklung oder Vertragsanpassung?
Häufig vereinbaren Energielieferanten mit gewerblichen/industriellen Kunden zwar eine feste, an einem bestimmten Verbrauchsprofil oder prognostizierten Lastgang des Kunden orientierte Liefermenge, gewähren für Fälle des tatsächlichen Mehr- oder Minderbedarfs aber ein Toleranzband. Bewegt sich der tatsächliche Verbrauch des Kunden innerhalb dieses (Toleranz-)Bandes, zahlt der Kunde (nur) den vertraglich vereinbarten Bezugspreis. Das Toleranzband ermöglicht dem Kunden bei größtmöglicher Preissicherheit also einen flexiblen Bezug von Strom und/oder Gas. Erst bei Überschreitung des Toleranzbandes greifen besondere Vergütungsregelungen, etwa eine auf Spotmarktkonditionen beruhende Abrechnung der Mehr- oder Mindermengen oder die Abrechnung bestimmter Pönalen.
Aktuell stellt sich im Rahmen zahlreicher dieser Fahrplanlieferverträge die Frage, wie mit Minderabnahmen des Kunden und – damit regelmäßig verbunden – hohen Nachzahlungsforderungen des Energielieferanten umzugehen ist. Haben die Parteien den Energieliefervertrag etwa zu Hochpreiszeiten im Sommer/Herbst 2022 geschlossen und ist der tatsächliche Verbrauch des Kunden energiekrisenbedingt deutlich hinter dem vertraglich zugrunde gelegten Verbrauchsprofil oder dem prognostizierten Lastgang zurückgeblieben, liegt die Forderung der Kunden nach einer Vertragsanpassung nahe. Konkret geht es darum, ob der wirtschaftliche Nachteil aus der Abwicklung derartiger Verträge, insbesondere aus der Abrechnung der Mindermengen, allein vom Kunden zu tragen ist oder ob sich der Lieferant hieran beteiligen muss.
Vertragsanpassung wegen nachträglicher Umstandsänderungen?
So nachvollziehbar solche Anpassungsforderungen vor dem Hintergrund der mit breiter öffentlicher Unterstützung geforderten Energieeinsparbemühungen auch sein mögen, vertragsrechtlich stehen der Durchsetzung mehrere Hürden entgegen.
Grundsätzlicher Ausschluss von Anpassungsansprüchen in Fällen einseitiger Risikoübernahme
Grundlage für ein entsprechendes Anpassungsbegehren kann entweder eine vertraglich vereinbarte Anpassungsregelung oder § 313 BGB, d.h. die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage, sein. Zwar mögen die Voraussetzungen, unter denen nach der einen oder anderen Regelung Anpassungsansprüche in Betracht kommen, voneinander abweichen, in beiden Fällen gilt jedoch, dass eine Vertragsanpassung ausscheidet, wenn die zum Anlass für das Anpassungsbegehren genommenen Umstandsänderungen einseitig in den Risikobereich des Anspruchstellers fallen.
Genau das ist bei Überschreitungen des Toleranzbandes von Fahrplanlieferverträgen indes grundsätzlich der Fall. Das Wesen derartiger Vereinbarungen besteht darin, dass der Kunde für einen außerhalb des Toleranzbandes liegenden Bedarf das Mengenrisiko übernimmt und deswegen für den innerhalb des Toleranzbandes verbleibenden Bedarf einen niedrigeren Energiepreis zahlt als im Rahmen klassischer Vollversorgungsverträge. Reguläre, den tatsächlichen Bedarf des Kunden beeinflussende Umstände fallen dementsprechend uneingeschränkt in den Risikobereich des Kunden und vermögen Anpassungsansprüche nicht auszulösen.
Geltung dieser Grundsätze auch im Rahmen der Energiekrise?
Anpassungsrelevant können mithin allenfalls außergewöhnliche und über die aus regulären Bedarfsschwankungen hinausgehende Verbrauchsrückgänge, etwa zwingende Einsparvorgaben der Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen (EnSikuMaV) oder der Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über mittelfristig wirksame Maßnahmen (EnSimiMaV), und/oder außergewöhnliche, über aus üblichen Preisschwankungen hinausgehende finanzielle Verluste sein.
Selbst solche Entwicklungen, die im Einzelfall zudem noch unvorhersehbar gewesen sein müssen, führen indes nicht zu einem Anpassungsanspruch. Zusätzlich müsste der Kunde nämlich darlegen können, dass ihm ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist. Das dürfte regelmäßig an den Preisbremsengesetzen scheitern. Ihnen ist zu entnehmen ist, wie nach Ansicht des Gesetzgebers mit hohen Energiepreisen während der Energiekrise umzugehen ist:
- Vertragspreise unterhalb des jeweiligen Referenzpreisniveaus sind dem Kunden ohne Weiteres zumutbar.
- Energiepreise oberhalb dieses Preisniveaus werden, sofern die weiteren Entlastungsvoraussetzungen erfüllt sind, auf das Referenzpreisniveau gedeckelt und begründen für den darüberhinausgehenden Teil des Vertragspreises, den sog. Differenzbetrag, einen Entlastungsanspruch gegen den jeweiligen Lieferanten oder gegen den Staat.
Hiernach gilt: Entweder ist der Kunde entlastungsberechtigt oder er ist es nicht. Ist Letzteres der Fall, so folgt hieraus zugleich, dass die Energiepreise, selbst wenn sie mit spürbaren finanziellen Mehrbelastungen verbunden sind, dem Kunden zumutbar sind.