Ladenetz für Elektromobilität - 9. Sektorgutachten der Monopolkommission
Einleitung
Angesichts aktueller weltpolitischer Krisen ist der Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge aus dem öffentlichen Fokus geraten. Die fortbestehende Klimakrise macht die Verkehrswende hin zu mehr Elektromobilität aber weiterhin zu einer Priorität. Die Entscheidungen, die heute beim Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge getroffen werden, werden die Struktur der entstehenden Märkte in Zukunft wesentlich prägen. Daher befasst sich die Monopolkommission in ihrem 9. Sektorgutachten Energie vom Oktober 2023 nunmehr zum dritten Mal mit der Frage, wie es um den Ausbau eines deutschlandweiten Ladenetzes und die wettbewerblichen Strukturen auf den Märkten für E-Mobilität bestellt ist.
Im Folgenden fassen wir die zentralen Thesen der Monopolkommission zusammen (9. Sektorgutachten, S. 100 ff., abrufbar hier (externer Link)):
Sachlich relevante Märkte
Die Monopolkommission grenzt, wie auch die EU-Kommission und das Bundeskartellamt, private Ladeinfrastruktur (Wallboxes, Ladepunkte auf Betriebsgelände etc.) aus dem Markt für öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur aus. Abgrenzungskriterium ist dabei, ob die Ladeinfrastruktur öffentlich zugänglich ist, nicht dagegen, ob sie auf öffentlichem Grund errichtet wird. Daher ist auch Ladeinfrastruktur öffentlich, die zwar auf privatem Grund errichtet, aber allgemein zugänglich ist (z.B. allgemein zugängliche Ladepunkte auf Supermarkt-Parkplätzen oder in öffentlichen Parkhäusern).
Die Monopolkommission erwägt, in Anlehnung an das Bundeskartellamt, Ladepunkte nach Leistung zu differenzieren und Märkte für schnelles und langsameres Laden zu unterscheiden. Im Ergebnis legt sich die Monopolkommission nicht abschließend fest, da die Substituierbarkeit von langsamen Ladepunkten durch schnellere aus Sicht der Nachfrager auch von den Preisunterschieden und der individuellen Zahlungsbereitschaft abhänge und belastbare Informationen hierzu noch nicht vorlägen. Im Sektorgutachten differenziert die Monopolkommission aber zumindest vorläufig zwischen
- Normalladepunkten abseits von Autobahnen mit einer Leistung bis 22 kW,
- Schnellladepunkten abseits von Autobahnen mit einer Leistung größer 22 kW,
- Superschnellladepunkten (HPC-Ladepunkten) abseits von Autobahnen mit einer Leistung ab 150 kW und
- Autobahnstandorten, bei denen typischerweise eine hohe Ladeleistung vorgehalten wird.
Räumlich relevante Märkte
Die Monopolkommission grenzt die Märkte im Einklang mit dem Bundeskartellamt lokal bzw. regional ab. Allerdings verfeinert die Monopolkommission ihre Methode zur räumlichen Marktabgrenzung. Während sie bislang schematisch Umkreismärkte über Luftliniendistanzen mit unterschiedlichen Radien um Ladesäulen gebildet hat, verwendet sie im 9. Sektorgutachten einen fahrzeitbasierten Ansatz (Erreichbarkeitsmodell). Dabei werden mit Hilfe einer Routing-Software für jeden Ladestandort Alternativen ermittelt, die binnen einer festgelegten Fahrzeit erreichbar sind. Für Normal- und Schnellladepunkte legt die Monopolkommission eine Fahrzeit von 15 Minuten zugrunde, für den HPC-Markt und Standorte entlang der Autobahnen 30 Minuten. Die fahrzeitbasierte Methode hat zur Folge, dass die räumlichen Märkte wegen dichteren Verkehrs in Ballungsräumen enger zu ziehen sind als im ländlichen Raum, in dem in der gleichen Zeit größere Strecken zurückgelegt und daher die räumlichen Märkte weiter gezogen werden können.
Rückgang der Anbieterkonzentration
Auf Basis der so abgegrenzten Märkte hat die Monopolkommission die Konzentration der Anbieter nach der CR1 Konzentrationsrate ermittelt. Hierbei fragt die Monopolkommission, wieviel Prozent der Ladepunkte innerhalb eines räumlichen Markts vom größten Anbieter kontrolliert werden. Für alle sachlichen Märkte stellt die Monopolkommission einen – teilweise erheblichen – Rückgang der Marktkonzentration fest. Lag die CR1 Konzentrationsrate für HPC-Ladepunkte 2020 bundesweit noch bei über 80 %, beträgt sie im Jahr 2023 nur noch rund 39 %. Noch vergleichsweise hoch konzentriert ist der Markt für Normalladepunkte mit rund 49 % im bundesweiten Durchschnitt. Nach den Erhebungen der Monopolkommission agieren dabei auf mehr als 60 % der regionalen Normallademärkte Anbieter, die mehr als 40 % der Ladepunkte kontrollieren und damit die Marktbeherrschungsvermutung nach § 18 Abs. 4 GWB (Marktanteile von mindestens 40 %) erfüllen.
Korrelation zwischen Anbieterkonzentration und Preis
Erstmals konnte die Monopolkommission im 9. Sektorgutachten umfangreiche Preisdaten auswerten. Auf dieser Grundlage ermittelt sie eine Korrelation zwischen hoher Marktkonzentration und hohen Preisen. Unabhängig von der Marktkonzentration war in allen Marktsegmenten ein Preisanstieg festzustellen. Allerdings: Der Preisanstieg fiel in hochkonzentrierten Gebieten bis zum Jahresende 2022 um rund 20 Cent pro 10 kWh höher aus als in weniger konzentrierten Gebieten. Zwar sei hierin kein Kausalitätsnachweis zu sehen, allerdings bestätigten die Ergebnisse laut Monopolkommission die bisherige Annahme, dass eine hohe Konzentration von Ladesäulenanbietern mit höheren Preisen für Abnehmer einhergehen kann.
Marktmacht wirkt sich in Verhandlungsmacht gegenüber EMP aus
Höhere Marktmacht wirkt sich dabei nicht nur auf die Ad-hoc-Ladepreise des Ladesäulenbetreibers (Charge Point Operator – CPO) aus, sondern auch auf das Preisniveau von E-Mobility-Service Providern (EMP), die Bezahlkarten für die Ladevorgänge an Ladesäulen diverser, vertraglich in das Netzwerk des EMP eingebundener Ladesäulenbetreiber ausgeben.
Eine hohe regionale Marktmacht eines Ladesäulenbetreibers wirkt sich nach Einschätzung der Monopolkommission in den Verhandlungen über die vertragliche Einbindung des Ladesäulenbetreibers in das Ladenetzwerk des EMPs aus. Denn die EMPs sind, um ihre Ladekarten für E-Autofahrer möglichst attraktiv zu machen, darauf angewiesen, insbesondere mit den Betreibern möglichst vieler Ladepunkte innerhalb eines räumlichen Markts Nutzungsverträge abzuschließen. Die Ladesäulenbetreiber können ihre hieraus erwachsene Verhandlungsmacht einsetzen, um höhere Verrechnungspreise zu ihren Gunsten durchzusetzen. Um im Wettbewerb mit anderen EMPs zu bestehen und ihren Ladekarteninhabern weiterhin einheitlich möglichst günstige Preise anzubieten, werden EMPs weniger marktmächtigen Ladesäulenbetreiber, die für ein flächendeckendes Angebot weniger wichtig sind, tendenziell niedrigere Verrechnungspreise anbieten. Dies führt nicht nur zu wettbewerblichen Nachteilen bestehender kleinerer Ladesäulenbetreiber, sondern erschwert auch den Markteintritt neuer CPOs in vermachtete regionale Märkte.
Wettbewerbliche Lösungsmöglichkeiten für dieses Dilemma sieht die Monopolkommission darin, die Kosten für das Ad-hoc-Laden transparenter und direkte Zahlungen an den Ladesäulenbetreiber komfortabler zu machen. Denn bei höherer Preistransparenz können Newcomer durch günstige Ad-hoc-Ladepreise schneller Marktanteile gewinnen und etablierte Ladesäulenbetreiber wettbewerblich unter Druck setzen. Für eine erhöhte Transparenz der Ad-hoc-Ladepreise erneuert die Monopolkommission ihren Vorschlag, eine Markttransparenzstelle für Ladepreise einzurichten, wie es sie bereits für Benzin- und Dieselpreise gibt.
Impulse für einen verstärkten Wettbewerb könnten sich zudem aus der flächendeckenden Umsetzung von Plug&Charge ergeben, einer Ladefunktion, bei der lediglich das Ladekabel mit dem E-Auto verbunden werden muss und Lade- und Bezahlvorgang mittels eines hinterlegten Ladetarifs durch Kommunikation zwischen E-Auto und E-Ladesäule erfolgt. Da bei der Weiterentwicklung von Plug&Charge allerdings wettbewerbliches Missbrauchspotential besteht, etwa indem der Autohersteller (nur) einen bestimmten EMP-Vertrag für die Zahlungsabwicklung hinterlegt und dadurch dessen Marktposition stärkt, regt die Monopolkommission eine Beobachtung der Marktentwicklung durch das Bundeskartellamt an.
Weitere Vorschläge der Monopolkommission
Nach Vorstellung der Bundesregierung im Masterplan Ladeinfrastruktur II (Oktober 2022) sollen Kommunen und kommunale Zusammenschlüsse möglichst bis Ende 2023 lokale Masterpläne für den Ausbau ihrer lokalen Ladeinfrastruktur erarbeiten. Die Monopolkommission schlägt vor, im Rahmen dieser kommunalen Masterpläne oder der geplanten Ausschreibungsleitfäden die Bedeutung von Wettbewerb zwischen Ladesäulenbetreibern in lokalen Märkten zu betonen und damit den künftigen Wettbewerb beim weiteren Auf- und Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur sicherzustellen.
Schließlich regt die Monopolkommission eine vergleichsweise Einigung im Rechtsstreit an, der zwischen der Tank & Rast-Gruppe einerseits und Tesla und Fastned andererseits anhängig ist und der den zügigen Ausbau einer Schnellladeinfrastruktur an den von Tank & Rast bewirtschafteten Autobahnrastanlagen hemmt. Hintergrund des Rechtsstreits ist eine aktuelle Ergänzungsvereinbarung zu den Konzessionsverträgen aus den 1990er Jahre zwischen der Autobahn GmbH des Bundes und der Tank & Rast, in der sich Tank & Rast zur raschen Errichtung von Schnellladepunkten an den von ihr bewirtschafteten Autobahnrastanlagen verpflichtet. Tesla und Fastned sind der Ansicht, die Konzessionserweiterung zugunsten der Tank & Rast hätte vergaberechtlich ausgeschrieben werden müssen. Das OLG Düsseldorf hat die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Bis die Vorabentscheidung ergeht, kann wertvolle Zeit verstreichen, die für den Ausbau der Ladeinfrastruktur an Autobahnrastanlagen genutzt werden könnte. Diese Zeit könnte nach Auffassung der Monopolkommission im Interesse eines zügigen Infrastrukturaufbaus genutzt werden, wenn der Rechtsstreit vergleichsweise beigelegt würde.